Sam Peckinpah (1925–84) – Regisseur zwischen Genie und Wahnsinn

Kurzbeschreibung: Manche verachteten, andere bewunderten ihn. Mit seinen Filmen beeindruckte und schockierte er sein Publikum gleichermaßen. Viele, die mit ihm arbeiteten, fühlten sich hinterher ausgenutzt und verprellt – aber fast alle waren ihm auf ewig dankbar. Kaum ein Regisseur zeigte so starke Ambivalenzen wie Sam Peckinpah, der mit seinen Filmen eine kinematografische Schatzgrube hinterließ.

Social-Media-Optionen

Sam Peckinpah – das war in den Augen vieler Menschen jener Regisseur, der am Set mit Bandana und gespiegelter Sonnenbrille und Revolver auftauchte, der Produzenten mit Messern bewarf, dutzendweise Leute feuerte und die Verbliebenen am Ende der Dreharbeiten wie als Zeichen ihres Überlebens mit Medaillen und Orden dekorierte; der gelegentlich 70.000 Dollar mit seiner Crew in einer Bar versoff oder Nutten ans Set bestellte, der sich mit seinen Sexeskapaden brüstete, jedes Mal zu heiraten schien, sobald er mexikanischen Boden betrat; der pro Drehtag mehrere Flaschen Wodka versoff, ehe er fast nur noch Kokain schnupfte (wofür er sich Rasierklingen um den Hals hängte); der menschliche Brutalität nicht nur in Blutfontänen verherrlichte, sondern auf der Leinwand gleich ein groteskes Gewaltballett aufführte, für das die an den Ausgaben verzweifelnden Studios kaum mit der Lieferung von Platzpatronen hinterherkamen; der Frauen erniedrigte und sich mit Männern prügelte, auf Journalisten einschlug und unablässig fluchte – kurzum: ein unkontrollierbarer, an der Grenze zur Psychopathie operierender Filmemacher, der anscheinend unbelehrbar die Produktionskosten wie die Fahrzeuge und Gebäude in seinen Actionsequenzen explodieren ließ.

Vieles davon war Peckinpah. Und einiges nicht. Peckinpahs Leben war mit seinen Abgründen, Erfolgen und Eskapaden wie gemacht für das Hollywood’sche Legendenreich. Die Wahrheit liegt wie immer irgendwo dazwischen, aber die Quintessenz dürfte sein: Sam Peckinpah war ein ambivalenter Mensch – dessen Filme voller Ambivalenzen stecken.

Peckinpahs frühe Jahre: Kindheit und Prägung

Peckinpah, der Sohn eines zum angesehenen Rechtsanwalt aufgestiegenen Kutschenlenkers und der Tochter eines Patriarchen aus den kalifornischen Bergen, war ein sensibler, literarischer, ja poetischer Mensch, aufgewachsen in einer Familie, in der man nicht weinen durfte – erst recht nicht als Junge. Bruder, Vater und Großvater waren allesamt hartgesottene Charaktere, entsprachen viel eher einem Echter-Kerl-Klischee als der kleine Sam, der zwar reiten und jagen konnte, dabei aber stets einer familiären Männlichkeitserwartung hinterhereilte. In den Wäldern des Peckinpah Mountain entwickelte er gleichwohl ein feines Gespür für die Topografie des Westens; und von den Hilfsarbeitern auf der Ranch seines strengen Großvaters saugte er unzählige Geschichten und Anekdoten auf, verinnerlichte ihre Sprechweise und Mentalität.

Der Vater hoffte, dass der junge Sam, wie bereits der ältere Bruder, in seine Fußstapfen als Anwalt treten würde – doch statt auf der Highschool dem Debattierclub beizutreten, choreografierte der Junge lieber im Schultheater. Der Vater schickte ihn auf die Militärschule, im Zweiten Weltkrieg ging Peckinpah zu den Marines und erlebte 1945 in China das menschliche Gewaltpotenzial. Gleich mehrmals hatte Peckinpah den Tod gesehen – auf der Pirsch der Blick eines sterbenden Hirsches, im Krieg der von einer Kugel aus dem Leben gerissene Mitreisende. Wieder zurück in den USA, stieg Peckinpah ins Theater ein, wo seine Inszenierungs- und Regiebegabung aufblitzte.

Peckinpahs Anfänge beim Fernsehen: von der Mattscheibe auf die Leinwand

Über einen Familienfreund gelangte Peckinpah in die Filmmetropole Hollywood, freilich am Ende der Hierarchie. Als Assistent von Don Siegel sammelte Peckinpah erste Erfahrungen beim Filmdreh. In den frühen Fünfzigern verschlug es ihn schließlich zum Fernsehen, wo sich für einen frischgebackenen Familienvater eher Geld verdienen ließ. Sein Mentor Siegel hatte ihn weiterempfohlen und so stieg er erst zum Drehbuchautor, dann zum Regisseur von Westernserien auf. Im Fernsehen entwickelte Peckinpah schnell ganze Formate, The Rifleman und The Westerner. In den Fernsehstudios, nicht in Hollywood, wuchs damals eine ganze Kohorte ungemein fähiger Regisseure heran, die aus den Zwängen der TV-Produktionen eine geradezu furchterregende Effizienz und kinematografische Sinneskraft entwickelt hatten, neben Peckinpah vor allem Sidney Lumet und John Frankenheimer. Die temporeichen Drehs, die in Abhängigkeit von Quoten und Werbeeinnahmen kurzlebigen Produktionen: Sie ermöglichten Peckinpah, seine Kreativität auszuleben und Fähigkeiten zu entwickeln, die ihn schon bald als Regisseur für die große Leinwand – für Hollywood – empfahlen. Die Zeit im Fernsehen war eine Bewährungsprobe, und Peckinpah hatte sie bestanden.

Schwarz-Weiß-Szene: Brian Keith lehnt als Westerner an den Tresen einer Bar, im Vordergrund sitzt jemand mit dem Rücken zur Kamera, man sieht einen Gewehrlauf in die Höhe ragen.

Peckinpahs frühe Filme

Brian Keith brachte Sam Peckinpah auf die Leinwand. Keith hatte 1960 die Hauptrolle in der TV-Serie „The Westerner“ gespielt, die Peckinpah erdacht, geschrieben, produziert und für die er auch bei fünf der insgesamt 13 Episoden auf dem Regiestuhl gesessen hatte. Nachdem NBC die Serie wegen schwacher Einschaltquoten schnell wieder abgesetzt hatte, schlug Keith bei seinem nächsten Filmprojekt kurzerhand Peckinpah als Regisseur vor.

Sein Leinwanddebüt The Deadly Companions“ (1961) war gleich in zweierlei Hinsicht symptomatisch für Peckinpah. Zum einen zeichnete sich sein künstlerischer Ehrgeiz ab, von den Hollywood’schen Westernroutinen abzuweichen und sein Publikum eine Inszenierung zuzumuten, die das wahre Ausmaß von Waffengewalt verdeutlicht und in der die moralische Verdorbenheit der Menschen nicht nur eindimensionalen Bösewichten vorbehalten ist. Lange vor dem New HollywoodKino trugen die normalerweise „guten“ Protagonisten eine gehörige Menge „Böses“ in sich – im Peckinpah-Kino standen die Hauptfiguren ungewöhnlich nahe am moralischen Abgrund.

Szene mit Maureen O’Hara und Brian Keith: Beide mit Gewehren in der kargen Wildnis in alerter Haltung.

Zum anderen zeigte sich hier bereits das bald schon legendäre Konfliktpotenzial zwischen dem Regisseur als Künstler und Kreativem auf der einen Seite und seinen Produzenten als den Vertretern kommerzieller Interessen am Filmemachen auf der anderen Seite. Aus dem Fernsehstudio, wo die Regisseure zuallererst effizient die Folgen auf die TV-Bildschirme bringen sollten, war Peckinpah gewohnt, volle Kontrolle über die eiligen Dreharbeiten zu haben – seine Fernseherfahrung, die ihn überhaupt erst für die Leinwandarbeit qualifiziert hatte, machte Peckinpah zugleich inkompatibel zu den Arbeitsweisen der großen Filmstudios.

Mit Charles B. FitzSimons traf er nun ausgerechnet bei seinem ersten großen Filmprojekt auf einen Produzenten, der das von ihm mit erstellte Drehbuch exakt umgesetzt wissen wollte und dem Regisseur angeblich sogar verbot, mit der Hauptdarstellerin Maureen O’Hara zu sprechen (FitzSimons’ Schwester). Außerdem missfiel Peckinpah der Schnitt, auf den er keinen Einfluss hatte, der den aus seiner Sicht ohnehin schlechten Stoff zu einem noch schlechteren Film machte.

Peckinpah jedenfalls schwor nach „The Deadly Companions“ in aller Öffentlichkeit, keinen Film mehr ohne Drehbuchautorität zu machen. Niemand konnte danach jedenfalls behaupten, mit Peckinpah einen inspirationslosen Befehlsempfänger am Set zu erwarten. Doch im (sterbenden) Studiosystem schätzte man nichts so sehr wie Regisseure, die ihre Arbeit pünktlich – das heißt ohne zusätzliche Kosten – ablieferten. Und weil Peckinpah das Low-Budget-Projekt in knapp zweieinhalb Wochen gestemmt hatte, engagierte ihn die ehrwürdige Metro, einst die glamouröseste unter den Traumfabriken, für einen weiteren Western.

Auch Ride the High Country“ (1962) ist noch kein genuines Peckinpah-Werk, weil dem nach wie vor in Hollywood namenlosen Regisseur Story und Cast vom Studio vorgesetzt wurden. Aber viel Peckinpah’sches Herzblut floss in diesen Film – die Darstellung der entlegenen Minenstadt und ihres Bordells hatten ihm reichlich Recherche und Kreativität abverlangt, die Figuren sollten echt wirken. Die gewaltsamen Hillbilly-Brüder schockierten das Studiomanagement, Peckinpah indes beharrte mit der Autorität des Abkömmlings einer Westerner-Familie: „Those people do exist.[1]

Peckinpah durfte „Ride the High Country“ sogar selbst schneiden – doch nach einem Wechsel an der Studiospitze wollte man den Film urplötzlich als abscheuliches Machwerk begraben. Weil MGM aber die europäischen Kinos zu beliefern hatte, erschien der erste Film mit starker Peckinpah-Signatur in Europa, wo er die Kritiker begeisterte, obendrein vergleichsweise viel Geld einspielte.

Randolph Scott und Joel McCrea als gealterte Westerner in einem dunklen Zelt; Scott sitzt nachdenklich im Vordergrund, McCrea notiert im Hintergrund etwas in ein Buch.
John Anderson und L.Q. Jones als zwei Brüder in skeptisch-überraschter Haltung in einem Bordell.

Und weil in Hollywood neben der Einhaltung des Budgets nichts so sehr zählte wie der Box-Office-Erfolg, erhielt der eigentlich bereits zum zweiten Mal in Ungnade gefallene Peckinpah eine weitere Chance. Diesmal heuerte ihn die Columbia an, abermals für einen Western.

Im Unterschied zu Peckinpahs ersten beiden Werken war Major Dundee“ (1965) kein kleines Projekt: Mit Charlton Heston, dem „Ride the High Country“ als Regiearbeit imponiert hatte, stand ein Major-Hollywoodstar an der Spitze des Cast und das Studio hatte mehrere Millionen Dollar für einen mehrmonatigen On-Location-Dreh in Mexiko bewilligt – was in der Hollywoodlogik nichts anderes bedeutete als den ungeheuren Druck, ein Mehrfaches dieser Summe wieder einzuspielen.

Was sein größter Film hätte werden können, geriet für Peckinpah jedoch zum Albtraum. In „Major Dundee“ wollte er an einzelnen Menschen den Irrsinn und die Triebkräfte von Kriegsgewalt zeigen, die sich selbst verstärkende Diskrepanz von Zielen und Erreichtem, das für Viele verhängnisvolle Commitment Einzelner – doch am Ende war sein Werk brutaler verstümmelt worden als irgendwer in irgendeiner Szene des gewalthaltigen Films.

Denn die Columbia wollte einen konventionellen Kavalleriewestern, Heston hoffte auf eine kinematografische Auseinandersetzung mit dem Bürgerkrieg, zu dessen Zeit „Major Dundee“ spielt. Peckinpah indes schwebte ein Film vor, wie er ihn erst Jahre später mit The Wild Bunch“ (1969) verwirklichte, und sah sich schon bald als Opfer hinterlistiger Managementkalküle, durfte am Ende angeblich nicht mal mehr das Studiogelände betreten. Erst habe ihm der Produzent kurz vor Drehbeginn einfach zwei Wochen Drehzeit gestrichen, später obendrein eine knappe Stunde herausgeschnitten – aus Peckinpahs Sicht blieb nur noch ein mediokres Kavallerieabenteuer inklusive Romanze übrig, was eine nachdenkliche Gewalt- und Kriegsstudie hätte sein sollen („[…] I was sick to my stomach.“[2]). Heston verzichtete auf seine Gage, damit Peckinpah nicht gefeuert wurde. Was unter Cineast:innen inzwischen als einer der innovativsten und besten Western aller Zeiten gilt, hätte den Regisseur beinahe noch in deren Anfangsstadium die Karriere gekostet.

Kavalleristisches Kampfgetümmel mit Richard Harris als säbelschwingendem Offizier im Mittelpunkt.

Peckinpahs Untergang, Comeback und Zenit

Bei „Major Dundee“ hatte sich Peckinpah schlichtweg verzockt, hatte geglaubt, die Skepsis des Studios einfach ignorieren und weitermachen zu können (so wie zuvor bei „Ride the High Country“), auf dass sein gedrehtes Material notgedrungen akzeptiert würde, wäre es erstmal im Kasten. Trotz des unrühmlichen Projektabschlusses (Peckinpah war bei Columbia Pictures zur Persona non grata erklärt worden und musste dem Studiogelände fernbleiben) waren die Tage des Regisseurs in Hollywood noch keineswegs gezählt.

Erst als er nach wenigen Tagen bei The Cincinnati Kid“ (1965) vom Set flog, folgte Peckinpahs Absturz. Keiner wollte ihn mehr engagieren, seine Ehe scheiterte, der Bankrott drohte („I went through Hell.[3]). Mit dem in Hollywood karrieretödlichen Stigma des Troublemaker behaftet, kehrte Peckinpah zu seinen Fernsehwurzeln zurück, erholte sich fernab der großen Leinwand als Drehbuchschreiber, teilweise wie zu Zeiten der Blacklist unter anderem Namen. 1966 drehte er das knapp fünfzigminütige ABC Stage 67“-Stück „Noon Wine (u.a. mit Olivia de Havilland, Jason Robards und Per Oscarsson), das sein Comeback-Film wurde.

Jason Robards und Olivia de Havilland als Western-Ehepaar auf einer Kutsche.

Der TV-Rekonvaleszent hatte abermals seine Fähigkeit nachgewiesen, den Studios Geld zu verdienen, und durfte nach Hollywood zurückkehren. Doch barg die Lektion, die Peckinpah nach seiner fast vierjährigen Hollywoodabsenz gelernt zu haben vorgab, bereits das Potenzial für künftigen Ärger. Denn im Grunde lautete sie, dass er – Peckinpah – bloß nicht rechtzeitig erkannt habe, dass etliche Leute im Filmbereich Idioten waren, die schlicht kein Interesse an guten Filmen hatten.

Die neuen Leute bei Warner Bros.-Seven Arts vertrauten dem Westernregisseur zumindest so weit, um ihn aus dem Fernsehexil nach Hollywood zurückzuholen, und gaben ihm für „The Wild Bunch“ vergleichsweise große Freiheiten, jedenfalls für einen vormaligen Hollywoodoutcast. Dass sich die Studiomanager und Peckinpah – der seinen neuen Film nun immerhin zu 94–96 Prozent, wie er im Rausch des unverhofften Comebacks versöhnlich konzedierte, nach seinem Gusto verwirklicht sah – auch nach dem Projekt so gut verstanden („I respect them and they respect me […] it’s a delight.[4]), mochte freilich an dem beträchtlichen Kinoerfolg liegen, der „The Wild Bunch“ war. Respektable Kritiker:innen feierten Peckinpah als „the best director of his generation in Hollywood[5].

Der Film, der Peckinpah zum weltweit verrufenen „Pontifex der Gewalt“[6] machte, war indes Straw Dogs. Mit seiner ausgiebigen Vergewaltigungsszene und dem Gemetzel in der Enge eines südenglischen Landhauses versetzte der Regisseur ganze Kinosäle wahlweise in einen Schockzustand oder Blutrausch. „The Wild Bunch“ und „Straw Dogs“ übersäten die Leinwand mit so viel Gewalt, wie sie gleich für mehrere Filme ausreichte – Peckinpah stand nun, ganz entgegen seinem Ansinnen, im Verdacht, Gewalt zu verherrlichen. Dabei wollte er durch quälende Slow Motion seinem Publikum doch schlicht nichts ersparen, wollte die Konsequenzen von Gewalt ihrer Kino-Beiläufigkeit entreißen, indem er den Blick auf Details – auf schmerzverzerrte Gesichter, aufplatzende Wunden – lenkte. Bei Peckinpah fielen die Cowboys nach einem Treffer nicht einfach um, sondern krepierten elendig.

Nahaufnahme von Dustin Hoffman und Susan George mit verängstigten Gesichtern in ihrer Küche.

Nach „The Wild Bunch“ durfte Peckinpah tun, was fast allen erfolgreichen Regisseuren gewährt wird: ein verschrobenes Herzensprojekt mit lediglich verhaltenen Box-Office-Aussichten zu drehen, um sich dann wieder dem schnöden Mammon hingeben zu können. Junior Bonner war für Hollywoodverhältnisse ein Low-Budget-Projekt, was Peckinpahs Fallhöhe schon einmal begrenzte; genauso wie kurz zuvor The Ballad of Cable Hogue, der noch während der Post-Produktionsphase von „The Wild Bunch“ entstand. Die beiden Projekte, ein Liebesfilm und ein Familiendrama, wirkten freilich nicht als Antidot zum Gewalthautgout, der Peckinpah inzwischen anhing.

Keine einzige Leiche, nicht einmal eine einzige verfeuerte Patrone: Vordergründig schien „Junior Bonner“ nach „The Wild Bunch“ und „Straw Dogs“ mit seiner Schusswaffenabstinenz wie eine Karikatur des „Bloody Sam“-Labels. Doch jenseits von ein paar Fausthieben unter Brüdern und einer zünftigen Saloon-Prügelei lässt sich „Junior Bonner“ aus einer kinesoziologischen Sicht sogar als der vielleicht brutalste Peckinpah-Streifen sehen – so erbarmungslos, wie die BonnerFamilie hier entwurzelt und der texanische Traditionalismus buchstäblich planiert wird. In der Tragödie einer HeartlandFamilie liegt die stumme, unsichtbare Gefühlsgewalt, die sich durch gesellschaftlichen Wandel und auseinanderdriftende Alltagsträume vollzieht – etwa wenn Juniors Bruder Curly als eine der Triebfedern der Modernisierung die Welt von Ace und Junior Bonner unwiederbringlich zerstört und sie mit dem scheußlichen Gier-Ethos eines durchkommerzialisierten Millionen-Dollar-Ideals ersetzt.

Ace und Junior Bonner aus der Distanz betrachtet auf einer Bank am Bahnhof. Über ihnen ein Banner für das „Prescott Frontier“-Festival.

Nach dem künstlerisch beeindruckenden, finanziell allerdings enttäuschenden „Junior Bonner“ wollte Steve McQueen unbedingt ein zweites Mal mit Peckinpah drehen. Um sich aus ihrer Box-Office-Misere zu befreien, drehten McQueen und Peckinpah mit The Getaway einen prononciert kommerziellen Actionfilm – der dann tatsächlich an den Kinokassen große Summen einspielte und Peckinpahs geldsegensreichster Film wurde. Nebenbei wurde das Gangsterpaar auf der Leinwand zu einem echten – Steve McQueen und Ali MacGraw heirateten kurze Zeit später. Peckinpah indes hatte sich endgültig in Hollywood als Star-Regisseur etabliert: Seine vorherigen Filme hatten ihm künstlerischen Respekt eingetragen, „The Getaway“ bewies nun auch sein Box-Office-Potenzial. „The Wild Bunch“ etablierte ihn intellektuell, „The Getaway“ kommerziell.

Steve McQueen und Ali MacGrac mit Pistolen bewaffnet in eilig-alerter Haltung in einem schäbigen Hotelzimmer.

Als Nächstes drehte Peckinpah Pat Garrett & Billy the Kid. Hollywoodproduzent Gordon Carroll wollte einen Film über den US-Westernmythos Billy the Kid machen, der ihn an Rockstars erinnerte, die mit Anfang zwanzig bereits den Zenit ihres Lebens überschritten hatten. Drehbuchautor Rudolph Wurlitzer wollte den realen Menschen, Peckinpah die Legende verfilmen. Der Western wurde der erste Peckinpah-Streifen, der unter dem Alkoholkonsum seines Regisseurs litt. Am Set in Mexiko grassierte die Grippe, die Kameras versagten, Peckinpah verkrachte sich mit dem Studio – am Ende massakrierte der für seine selbstherrlichen Schnitte berüchtigte Studioboss James T. Aubrey das Werk, Peckinpah-Loyalisten retteten den Cut des Regisseurs, sodass die Filmwelt erst in den Achtzigern von einer Peckinpah’schen Fassung erfuhr.

Mehrere Ganoven in einer Kaschemme.

Nach dem Desaster von „Pat Garrett & Billy the Kid“ schien Peckinpah – kurz zuvor noch auf dem Höhepunkt seiner Karriere – abermals in Hollywood erledigt zu sein. Erzürnt schwor der Regisseur der kalifornischen Filmmetropole ab und ging nach Mexiko, drehte dort Bring Me the Head of Alfredo Garcia – eines der irrsinnigsten und zugleich interessantesten Werke der Filmgeschichte. Warren Oates spielt einen abgehalfterten Barpianisten, der mit einem abgeschnittenen, in einen Jutesack gehüllten Kopf durch Mexiko fährt und für Insider sofort als ein Alter Ego des Regisseurs erkennbar war. Für viele war dies der erste Dreh, bei dem sich Peckinpahs körperlicher Verfall bemerkbar machte; Peckinpah selbst hielt ihn für den einzigen Film, der exakt seinen Vorstellungen entsprach. Der Film gilt inzwischen als verkanntes Meisterwerk – aber damals schien er Peckinpahs Karriere ruiniert zu haben.

Frontalaufnahme von Bennie und Elita in einem Korridor.
Nahaufnahme von Warren Oates als Bennie mit großer Sonnenbrille und Zigarette.

Trotzdem galt seine Kompetenz als Actionregisseur noch etwas und so durfte Peckinpah The Killer Elite drehen. Auch die „Killer Elite“ befand sich von Anfang an auf holprigem Grund, strebten die Absichten der Beteiligten doch wieder einmal weit auseinander. Während die Produzenten einen Actionstreifen mit kassenträchtiger Peckinpah-Handschrift in die Kinos bringen wollten und der Drehbuchautor Stirling Silliphant ein Martial-Arts-Werk erstrebte, war Peckinpah mehr nach einer Satire, die sowohl das Hollywood’sche Actionkino als auch die Arbeit manipulativer Geheimdienste lächerlich machen sollte.

Erneut überzog Peckinpah das Budget, zu seinem Glück spielte der Film seine Kosten wieder ein. Bei manchen erweckte „The Killer Elite“ indes den Eindruck, als sei Peckinpah nun vollends abgehoben: „This director thinks he can do anything he wants, and he is nearly right: But he is a long way from his audience.[7]

Hopkins lädt sein Gewehr, Caan blickt zu ihm herüber.

Anschließend drehte Peckinpah in Jugoslawien Cross of Iron“ (1977), über die verlustreichen Rückzugsgefechte der Wehrmacht am Kuban-Brückenkopf im Sommer und Herbst 1943, den der Regisseur als Chance auf ein kraftvolles Antikriegsstatement betrachtete. Der deutsche Softpornoproduzent Wolf C. Hartwig hatte dagegen einen großen Namen für einen konventionellen Kriegsfilm gesucht, wie sie damals allerorten für ein unterhaltungsorientiertes Publikum gedreht wurden. In den USA spielte „Cross of Iron“ keine Rolle, in Europa war er ein Erfolg – Peckinpahs ausufernde Dreharbeiten hätten den Produzenten allerdings beinahe in den Ruin getrieben.

Klaus Löwitsch als deutscher Soldat, der im Schlachtengetümmel mit erschrocken-aggressivem Gesicht seine Pistole auf jemandem im Vordergrund richtet.

Fast nahtlos ließ sich Peckinpah auf sein nächstes Filmprojekt „Convoy ein, das so etwas wie ein „Wild Bunch“ der Gegenwart, mit Truckern als neuen Westernern hätte werden können, stattdessen jedoch als der große Fehlschlag aus Peckinpahs Gesamtwerk hervorsticht. „Convoy“ basierte auf einem Song und wirkt im Nachhinein so ausgebrannt wie der alkohol- und kokainsüchtige Peckinpah nach den Dreharbeiten, die für ein halbes Jahrzehnt seine letzten werden sollten, nachdem er zuvor fast unablässig, wie ein Besessener, Filme gemacht hatte. Körperlich aufgezehrt, hatte er mittlerweile große Teile selbst seiner härtesten Getreuen vergrault. Obendrein hatte sich sein Misstrauen in einen Zustand gesteigert, indem er sogar seine engste Mitarbeiterin belauschte und in dem manche Zeugen des späten Peckinpah Muster einer paranoiden Schizophrenie erkannten.

Ali MacGraw am Steuer eines Jaguar „E-Type“ auf einem Highway, hinter ihr ein Truck.

The Killer Elite“, „Cross of Iron“ und „Convoy“ schossen allesamt zwar weit über ihre ursprünglichen Budgets hinaus, spielten erstaunlicherweise aber ihre Kosten größtenteils wieder ein. Obzwar kaum jemand das Zelluloid-Genie des exzentrischen Regisseurs anzweifelte, wollte ihm seiner andauernden Produktionseskapaden wegen aber keiner mehr ein Projekt anvertrauen.

In der Peckinpah-Historie war das eine Zäsur: Nach fast zehn Jahren unablässigen Filmemachens war der „Gewalt-Spezialist“[8] in Hollywood anscheinend endgültig verbrannt. Und das war auch kein Wunder, denn Alkohol und Drogen hatten ihn zwischenzeitlich ruiniert. Bei „The Wild Bunch“ drehte er noch nüchtern, bei „Junior Bonner“ gab es Drinks erst nach 17 Uhr, bei „The Getaway“ auch schon vorher; „Pat Garrett & Billy the Kid“ war dann der erste Dreh, der merklich unter Peckinpahs Alkoholproblemen litt. Und bei „Convoy“ schien ihm die Kontrolle über sich selbst entglitten zu sein.

Peckinpah zog sich wie ein Hollywooderemit aufs Land nach Montana zurück, musste (oder vielmehr sollte) nach einem Herzinfarkt das Trinken und Rauchen aufgeben, arbeitete schließlich als Second-Unit-Regisseur für seinen alten Freund und Mentor Don Siegel, spielte ein paar Cameos bei Freunden und Adepten oder schrieb an den Drehbüchern von Projekten, die dann doch noch im letzten Moment platzten.

Im Frühjahr 1982 bot man ihm schließlich eine Romanverfilmung an – The Osterman Weekend wurde Sam Peckinpahs letzter Film, ehe er am 28. Dezember 1984 an Herzversagen starb. Gedreht wurde auf dem einstigen Grundstück des Vierziger- und Fünfzigerjahre-Hollywoodstars Robert Taylor. Die Besetzung war stark, Peckinpah zwar verlebt und angeschlagen, aber noch immer loderte in ihm das Feuer des ewigen Filmemachers.

Im Vergleich mit anderen Peckinpah-Werken wirkt „The Osterman Weekend“ schwach; doch war der Streifen über die innere Deformierung von Geheimdiensten und die invasive Televisionierung des Lebens so etwas wie Peckinpahs Konklusion der deprimiert-ernüchterten Post-Watergate-Jahre und dem desillusionierten Blick auf eine USA, die für den Regisseur nicht mehr dem Land entsprachen, in dem er einst aufgewachsen war. Peckinpah selbst schien nun voll und ganz den Figuren seiner Filme zu entsprechen – lebendige Anachronismen, die sich selbst überlebt haben.

Rutger Hauer mit einem Baseballschläger, im Hintergrund Craig T. Nelson; beide stehen in einer verwüsteten Küche und starren aufgeregt in die Kamera.

The Osterman Weekend“ war, ungeplant, der Schlusspunkt eines Vermächtnisses von ungeheuerlicher Kraft und dem (beinahe) unbezwingbaren Willen, jeden einzelnen Film kompromisslos an Geschichte und Gesellschaft rückzukoppeln. Diese Eigenschaft machte Peckinpah zu einem der ideenreichsten und provokantesten Kommentatoren der Gesellschaft.

Peckinpah als Regisseur

Peckinpah gehörte zu den Wahnsinnigen, den Legendenumwobenen der Kinogeschichte. Ein Genie? Gewiss. Schwierig? Ganz sicher. Die Menschen, die mit Peckinpah zusammenarbeiteten, ertrugen die allerschlimmsten Launen des Alkoholikers und später auch noch Drogenabhängigen. Andauernde Beschimpfungen, wiederholte Rausschmisse, nie ausgesprochene Entschuldigungen – Peckinpah triezte seine Leute, demütigte sie, konnte manche von ihnen bis aufs Blut reizen, gelegentlich verfehlten seine Messerwürfe und Schüsse ihre Köpfe nur um Haaresbreite. Charlton Heston wollte ihn angeblich mitgezücktem Säbel niederreiten, Steve McQueen warf eine Champagnerflasche nach Peckinpah.

Doch die meisten drehten immer wieder mit ihm, weil sie dabei sein wollten, wenn sich der Whiskey- und Kokain-Dunst lichtete und sich der Peckinpah’sche Regie-Genius entfaltete. Sie ertrugen die cholerischen Eruptionen, seine unberechenbaren Volten – denn sie respektierten sein Urteil, an dem ihnen noch Jahrzehnte später viel lag. James Coburn, mehrfacher Peckinpah-Veteran, fasste die Anziehungskraft des Regisseurs Jahre nach dessen Tod zusammen: „Sam was the guy who would push you over the edge into the abyss, and nine times out of ten jump in after you. Sometimes he wouldn’t. He was extraordinary.[9]

Beim Peckinpah-Dreh fühlte man sich als Teil von etwas Besonderem. Unter den Regisseuren war Peckinpah ein Charismatiker, der am Set die einzigartige Atmosphäre eines höheren Filmemachens beschwören konnte, in der aus Sicht vieler Darsteller:innen und Crewmitglieder fantastische Dinge geschahen. Peckinpah gab die gewünschte Performance nicht vor, sondern suchte nach ihr, ließ die Leute experimentieren, erkannte den richtigen Take, wenn er ihn sah. „Indirection[10] nannte er das selbst. Anders als Hitchcock hatte er nicht jede Szene bereits vor Augen; anders als bei Billy Wilder waren Drehbuchzeilen nicht in Stein gemeißelt. Peckinpah strebte nach dem Außergewöhnlichen – und etliche der Menschen, die unter seiner Regie arbeiteten, merkten, dass er das Beste aus ihnen herausholte; etwas, das in anderen Produktionen nicht zum Vorschein kam. Zugespitzt: Peckinpah extrahierte die Exzellenz, die in seiner Crew und seinem Cast steckte. Viele verdankten ihm die beste Leistung ihrer Karrieren.

Wie viele gute Regisseure war er dabei rücksichtlos manipulativ – wie Elia Kazan verstand er sich darauf, bei seinen Darsteller:innen innere Dämonen aufzuwecken. Peckinpah besaß ein untrügliches Gespür für emotionale Antriebsfedern, für das, was Menschen zur Bestleistung trieb – war es Furcht, versetzte er sie in Angst; war es Bestätigung, lobte er sie. Für eine gute Performance waren ihm (fast) alle Mittel recht: Beim Dreh von „Noon Wine“, der TV-Verfilmung einer Katherine-Anne-Porter-Novelle, demütigte Peckinpah vor versammelter Mannschaft den Hollywoodaltstar Olivia de Havilland (sie sei die schlechteste Schauspielerin, die er jemals gesehen habe), um ihrem klassischen Hollywoodschauspielgesicht eine reale Emotion zu entlocken, die er dann bei heimlich weiterlaufender Kamera im Kasten hatte und später im Film verwendete.

Das geschah freilich nicht ohne Extreme, ohne Wahnsinn. So viel Blut auf der Leinwand vergossen wurde, so viel Herzblut floss bei Peckinpah in seine Filme. Und wenn jemand an Peckinpahs Absichten zweifelte, dann bemühte der Regisseur stets den Film als absolute Autoritäts- und Legitimationsquelle: „The one thing, he always said, is: ‚It’s for the picture!‘[11] – die ultimative Rechtfertigung für alles. Mit diesem Credo geriet er natürlich zwangsläufig auf Kollisionskurs mit den Studiomanagements, die auf eine strikte Einhaltung von Budgets und Drehplänen bedacht waren. Die Erzählungen von Konflikten zwischen Peckinpah und den jeweiligen Filmproduzenten sind Legion. Ebenso die Tragik entstellter Werke, die geldgierige Manager kaputtgeschnitten hatten, um sie in Verwertungsketten und Kinospielpläne zu pressen.

Michael Pate als Apachen-Anführer Sierra Chariba zu Pferd vor dem Hintergrund eines Massakers.

Wie so oft liegt die Wahrheit jedoch irgendwo in der Mitte. Zwar war der Regisseur in der Tat künstlerisch immer wieder Opfer kommerziell orientierter Studiointerventionen; doch heizte Peckinpah die Konflikte auch an, denn in Wirklichkeit brauchte er Feinde, um sich an ihnen abzuarbeiten und seine Crew hinter einem gemeinsamen Feind zusammenzurotten. Während der Dreharbeiten zu „Pat Garrett & Billy the Kid“ konterte Peckinpah die Gerüchte über seine ständige Trunkenheit am Set, indem er in der Hollywoodpresse ein Bild annoncierte, das ihn auf einer Krankenbahre mit einer oralen Alkoholinfusion zeigte. Aus Protest gegen den Umgang des Studiobosses mit dem Regisseur uniformierten sich Peckinpah-Loyalisten und nahmen von einem gemieteten Army-Truck aus das MGM-Gebäude mit Platzpatronen unter Beschuss.

Das Gefühl, in die Enge getrieben zu sein, war Peckinpahs Elixier und beflügelte seinen Regie-Genius. Produzenten boten ihm ein Ventil für seine Aggressionen, die sich während des Drehs angestaut hatten. Und manches Mal auch eine willkommene Entschuldigung, loszulassen. Denn Peckinpah brauchte den Druck von außen, um den Schnittraum zu verlassen, die Postproduktionsphase endlich abzuschließen. Einige, die ihn gut kannten, oft mit ihm zusammengearbeitet hatten, beschrieben, wie Peckinpah jede Stufe der Produktion immer wieder hinauszögerte, um nicht mit der nächsten beginnen zu müssen – erst zogen sich die Vorbereitungen in die Länge und man musste ihn quasi zum Set tragen; dann wollte er den Dreh nicht mehr beenden und man musste ihm förmlich die Kamera entreißen; und schließlich verbrachte er Wochen und Monate mit dem Filmschnitt, bis ihn jemand aus dem Schneideraum feuerte. Diese produktive, kreative Prokrastination dürfte ein Symptom von Peckinpahs Furcht gewesen sein, nach der Fertigstellung ohne Projekt, ohne Film, dazustehen. Und der Angst, seine Arbeit der öffentlichen Kritik auszusetzen.

Peckinpah aus einem Filmprojekt zu bekommen, ging in der Regel nur über zwei Wege: Entweder rief ein neues Projekt, das seine Anwesenheit verlangte; oder er wurde entlassen und teilweise sogar mit Verboten belegt, das Studiogelände zu betreten. Das führte dann meist zu verzerrten, auch entstellten Werken, deren wahre Schönheit und Genialität sich oft erst Jahrzehnte später entfaltete, wenn sich jemand erbarmte, eine von Peckinpah beabsichtigte Fassung herauszubringen oder zu rekonstruieren.

Doch gelang oft genug eben erst dadurch der Abschluss, zu dem Peckinpah allein nicht fähig war. Und wer weiß schon, wie sehr Peckinpah seinen Rauswurf hier und da provozierte, um hinterher im Angesicht von Kritik sagen zu können, der Film sei ihm entrissen worden? Und ganz sicher gefiel sich Peckinpah auch in seinem Gestus des verwegenen Hollywood-Outlaws (mit dem er übertünchte, dass manche ihn auch schlicht als kleinen Kerl in Cowboystiefeln sahen).

Die ständigen Wutausbrüche und miesen Launen, die Unberechenbarkeit, das gehörte bei Peckinpah ohnehin oft zu seinem eigenen Schauspiel. Er sprach absichtlich leise, damit sich die Darsteller zu ihm beugen und auf seine Worte konzentrieren mussten. Seine Blicke verbarg er hinter einer Sonnenbrille. Während der Dreharbeiten zu „Cross of Iron“ ließ sich Peckinpah wegen einer Beinverletzung in einem BMW-Motorrad mit Beiwagen kutschieren und von seinem breitschultrigen Regieassistenten auf einer Bahre am Set umhertragen, von der aus er Kommandos erteilte. Während „Convoy“ flog er ständig im Helikopter umher – eine Marotte voll Größenwahn, die sein Kumpel Peter O’Toole später genüsslich in The Stunt Man“ (1980) persiflierte. Mal attackierte er aufdringliche Reporter, mal torkelte er durch Branchenveranstaltungen wie Fredric March oder James Mason in den bitteren Hollywoodparodien der „A Star Is Born“-Reihe (1937 und 1954). Er zelebrierte sein Pseudo-Outlaw-Dasein, indem er die Öffentlichkeit mit trotzigen Sentenzen erschreckte („I’m like a good whore. I go where I’m kicked.[12]). Den „so called critics“, die sich an den Vergewaltigungsszenen in „Straw Dogs“ störten, erklärte er genüsslich, „that rear entry does not necessarily mean sodomy, as they said in their reviews“.[13]

Helmut Dantine in geschäftsmännischem Outfit auf einem Sofa, ohne Hose und mit einem aufgeschlagenen Magazin in seinem Schoß; zwei Frauen pflegen seine Füße; am linken Rand ist von hinten Bennies Körper erkennbar.
Warren Oates im hellen Sakko, mit Sonnenbrille und gezückter Pistole im Büro der Kopfgeldjäger.

Einer, der ihn gut kannte, hielt Peckinpah für einen unaufhörlichen Schauspieler – sein ganzes Leben sei eine einzige Inszenierung gewesen. Und tatsächlich wirkte sein Auftritt wie eine sorgfältig einstudierte Rolle: Anfangs zeigte er sich mit Zigarettenhalter und Sakko, aus dem der weite Kragen herausragte, in der Attitüde irgendwo zwischen Dalton Trumbo, Hunter S. Thompson und Truman Capote. Je weniger er aber als Drehbuchautor am Schreibtisch und je häufiger er auf dem Regiestuhl saß und on location drehte, desto martialischer wurde sein Erscheinungsbild – Bandana und Sonnenbrille gehörten bald zu seinem drehalltäglichem Erscheinungsbild, er trug sie wie eine Kampfmontur. (Sogar als Talkshowgast trat Peckinpah mit gespiegelter Sonnenbrille vor die Kamera.)

Ohnehin hatten Peckinpah-Drehs etwas von einem Kampf – gegen Witterungsbedingungen, gegen innere Dämonen, gegen die um ihre Investments besorgten Anzugträger aus Hollywood. Man überlebte einen Peckinpah-Film mehr, als man ihn einfach nur mitmachte. Und Peckinpah selbst kultivierte diese Erfahrung, indem er allen, die bis zum Ende durchgehalten hatten, Medaillen oder ähnliche Auszeichnungen verlieh.

Eine andere Sache, die Peckinpah auszeichnete, war sein bedingungsloser Realismus, sein Anspruch, die historische Wirklichkeit zu rekonstruieren, um sein Publikum tief in die jeweilige Zeit, in seine Szenen hineinzuholen. Nicht alle Ideen stammten freilich von Peckinpah – aber er schuf das Klima, indem sie entstehen konnten, ja geradezu mussten. Bereits die Sets seiner TV-Westernepisoden atmeten Peckinpahs Wissen über den Alten Westen und verströmten infolgedessen einen Zeitkolorit, der im Fernsehen schon fast unverschämt wirkte. Wirkten schon die Ganoven in seinem allerersten Film, „The Deadly Companions“, ungewöhnlicher als in den meisten anderen Western, schien man in Peckinpahs zweitem Leinwandwerk „Ride the High Country“ bei der Ankunft im Goldgräbernest Coarsegold gemeinsam mit den Protagonisten in eine andere Epoche zu reiten (Peckinpahs Art Director stahl zur originalgetreuen Darstellung der Frontier-Zelte die Segel vom Mutiny on the Bounty-Set). Cable Hogues Hütte ließ Peckinpah aus den Brettern und Nägeln eines alten Bordells zimmern. Als John Wayne 1969 in True Grit, der fast zur selben Zeit wie „The Wild Bunch“ in die Kinos kam, als Alkoholiker mit Augenklappe durch die Prärie ritt, hatte sich das alte Hollywoodkino zu einem gebrochenen Heldentum und einer Düsternis gesteigert, mit denen Peckinpah-Filme erst begannen.

Verschneide Szenerie, entlang eines Weges erstrecken sich mehrere Zelte, vier Personen zu Pferd im Vordergrund; im Hintergrund das einzige Holzgebäude.
Blick auf Wehrmachtssoldaten während eines Gefechts im Schützengraben, im Hintergrund eine Explosion.

Schilderungen vom Leben des Sam Peckinpah lesen sich wie eine Räuberpistole. Zur Entspannung warf er Messer, in Drehpausen zettelte er Barprügeleien an, aus denen er sich zur Verblüffung seiner Begleiter davonstahl; In den frühen 1970er Jahren sank Peckinpah volltrunken auf den Grund des „Beverly Hilton“-Pools und wurde von einem zufällig anwesenden Freund rausgefischt – während seines anschließenden Krankenhausaufenthalts forderte er unablässig Alkohol ein. Nach seiner vierten Scheidung hauste Peckinpah an der Küste von Malibu in einem Trailer (wie zur gleichen Zeit James Garners Privatdetektiv Jim Rockford im Fernsehen). Ende der Siebziger wäre er beinahe von Drogengangstern in Bogotá ermordet worden.

Peckinpahs Arbeit wäre indes nicht möglich gewesen ohne die Aufopferungs- (und auch Ausbeutungs‑)Bereitschaft seiner Crews, die sich oft aus denselben Leuten zusammensetzten. Sie rieben sich auf, erduldeten seine Launen, gaben alles – für ihn plagten sie sich an den strapaziösesten Drehorten ab, reisten um die Welt, sprengten nötigenfalls lebendige Hühner in die Luft, wenn die Szene es angeblich erforderte. Von allen Peckinpah-Getreuen stach Katy Haber hervor („Mother, mistress, nurse – psychiatrist, confidant, working partner[14]), die in den Siebzigern eine große Last von Peckinpahs Filmprojekten stemmte und ohne die der zunehmend von Alkohol und Drogen berauschte Regisseur manches Mal gar nicht arbeitsfähig gewesen wäre.

Auffällig ist die konsequente Wertschätzung, mit der sich Weggefährten zu ihm äußerten. Selbst ihre Parkinson-Erkrankung und ihr Alter hielten die achtzigjährige Pauline Kael (Peckinpah: „she’s a feisty little gal and I enjoying drinking with her“[15]), die einst beim New Yorker zu den bedeutendsten Filmkritiker:innen überhaupt gehörte, nicht davon ab, auf Anfrage über Peckinpah zu sprechen: „When he was making movies, it felt, for some of us, as if we were watching an ongoing street accident. We felt helpless; he was determined to be doomed.[16]

Nahaufnahme von Strother Martin als verwahrloster Kopfgeldjäger, der mit gierigem Blick mit seinem Gewehr zielt.

Viele sahen in ihm die Wahrhaftigkeit des Künstlers verkörpert, die nahezu niemand sonst hatte – den Verfechter eines Ideals, einer Art des Filmemachens, die man sich in Hollywood zwar ersehnte, doch nicht traute. Peckinpahs Ansinnen war eine Utopie des Filmemachens – hinter dem unaufhörlichen „Goddammit“-Gezeter und den gespielten Machoposen lag sein unbändiges Verlangen, aus noch so mittelmäßigem Stoff etwas Großes entstehen zu lassen.

Sam Peckinpah – Regisseur der Ambivalenzen

Peckinpah selbst befand sich in einem permanenten Spannungszustand. Auf der einen Seite besaß er großes Talent, eine maßlose Begabung für Geschichten, Charaktere und Bilder, eine selbst für Hollywoodverhältnisse unbändige Leidenschaft, Filme zu drehen, Visionen auf die Leinwand zu bannen und sich darauf zu verewigen.

Nach außen pflegte er einen knurrigen Macho-Habitus – die Sonnenbrille und Bandana hatten etwas von einer Kostümierung, an der Grenze zur Albernheit. Auf der anderen Seite war er innerlich zutiefst verunsichert und charakterlich ungemein sensibel. Seine sanfte Seite, die sich in seinen Skripten und in manchen Gesprächen offenbarte, versteckte er regelrecht hinter seiner Sonnenbrille – unter der manchmal auch Tränen flossen, die ihm besonders sentimentale Szenen wie etwa eine zwischen William Holden und Ernest Borgnine in „The Wild Bunch“ in die Augen trieben.

Maureen O’Hara badet im Dunkel der Nacht in einem Teich; um ihren Körper herum erstrecken sich mehrere Wasserkreise.

Dann Peckinpah als wandelnder Anachronismus: Der Regisseur arbeitete in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und profitierte dabei von den technischen Möglichkeiten moderner Kinematografie, die ihm seine Leinwandträume überhaupt erst ermöglichten. Dennoch war er mental einer untergegangenen Ära (oder vielmehr deren Mythos) verhaftet – passte wohl eher in das Zapata-Bürgerkriegs-Mexiko der 1910er Jahre als in die massenkonsumierte USA in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg.

Dann Peckinpahs Darsteller:innen und Crews: Sie hassten ihn manchmal. Und doch vergötterten sie ihn. Peckinpah verprellte treue Weggefährten und geduldige Freunde; und doch kehrten sie meist zu ihm zurück, wenn er sie rief. In Partner- und Freundschaften, auch am Set konnte Peckinpah verständig, freundlich, geradezu zärtlich sein. Aber er war auch gewalttätig, psychisch wie physisch. Er wusste, an welchen Punkten er Menschen attackieren und verletzen konnte – und nutzte das. Gleichzeitig schuf er in seinen Projekten ungeahnte Räume kreativer Selbstentfaltung für alle, die es mit ihm aushielten. Lust und Leid gingen bei Peckinpah stets Hand in Hand.

Im Grunde sind Peckinpah-Filme raffinierte Ambivalenzstücke: Gedreht mit dem Geld eines Systems, das Peckinpah verachtete und mit seinen Eskapaden unablässig piesackte. Voller Szenen, die aus dem bestanden, was Peckinpah mit ihnen entlarvte und kritisierte: Brutalität, Gewalt, Egoismus, bigott-verrottete Moral. Zugleich verbarg sich im misanthropischen Schatten zwischenmenschlicher Verwerfungen auch oft das philanthropische Licht schöner Augenblicke, in denen sich das humanistische Potenzial einer besseren Gesellschaft andeutete – Momente der unverrückbaren Loyalität, der tiefen Liebe. Vielleicht wie keinem zweiten Filmemacher gelang Peckinpah, eine schwermütige Romantik inmitten von harten Kerlen, Blutbädern und Mündungsfeuer zu entfalten.

Peckinpahs Themen

Marode Eliten

Seine Filme lenkten immer wieder den Blick auf die Willkür institutioneller Legitimation – „that power corrupts just as much as lawlessness[17]. In keinem Werk machte er das so deutlich wie in „Pat Garrett & Billy the Kid“, wo zwei Killer plötzlich auf unterschiedlichen Seiten des Gesetzes stehen, weil der eine sich einen Sheriff-Stern hat anstecken lassen, während der andere sich treu geblieben ist. Der Richter in „Ride the High Country“ ist ein jämmerlicher Suffkopf, der CIA-Chef in „The Osterman Weekend“ will sich mit einer aufgewiegelten Angst die Präsidentschaft erschleichen und im Bewährungskomitee von „The Getaway“ sitzen Verbrecher.

Burt Lancaster steht mit dem Telefonhörer am Ohr vor einem großen Fenster, das im Hintergrund einen Friedhof mit unzähligen Grabsteinen zeigt.

Den Underdogs indes, moralisch keineswegs einwandfreien Leuten, verleiht Peckinpah in ihren kleinen Triumphen eine poetische Romantik – in „The Getaway“ lässt er das Gangsterpaar mit der Beute nach Mexiko entkommen, die Trucker aus „Convoy“ durchkreuzen zum Schluss die PR-Pläne des wahlkämpfenden Gouverneurs und das allerschönste Ende ist vielleicht das von „The Killer Elite“, wo der doppelt und dreifach ausgenutzte Geheimdienstler mit seinem Kompagnon einfach auf einer Jacht davonsegelt.

Der Untergang des Alten Westens

Eine andere Sache, die Peckinpah faszinierte, war der Untergang des Alten Westens, die ungleichzeitige Begegnung zweier Epochen, wenn irritierte Cowboys und Banditen erstmals in ihrem Leben ein Automobil erblickten, so wie in „The Wild Bunch“ und „The Ballad of Cable Hogue“ („Kind of strange, moving all by itself.“). Und das Schicksal der Banden und Gewaltspezialisten, deren handwerkliche Qualifikation – das Töten mit Revolvern und Gewehren – in einer zunehmend zivilisierten Gesellschaft plötzlich nicht mehr gefragt war. Wie hartnäckig sich letzte Ausläufer dieser Kultur behauptet haben, zeigte Peckinpah in „Junior Bonner“, wo das Rodeo-Milieu wie eine subkulturelle Insel fortexistiert und zwei Schaufelbagger wie Raubtiere das mit Erinnerungen beladene Haus eines alten Rodeo-Reiters plattwalzen – eine Szene, die unweigerlich an die Ankunft der Planierraupen im John-Ford-Klassiker „The Grapes of Wrath“ (1940) erinnert.

Peckinpah sah sich selbst einer Welt zugehörig, die schon vor seiner Geburt längst untergegangen war und am Peckinpah Mountain allenfalls noch als nostalgische Reminiszenz, ergänzt um ein paar sichtbare Artefakte wie die Ranch oder die Wälder, schemenhaft existierte. So mag man in Peckinpahs Werk eine sarkastische Subversion erkennen, eine besonders hinterlistige Weise, der vermeintlich zivilisierten Welt einen Spiegel vorzuhalten, der genau das Bild zeigt, das sie eigentlich ablehnt – dass im Zentrum dieser neuen Welt ausgerechnet diejenigen Schwächen stehen, und das vielleicht sogar noch viel stärker, mit deren vermeintlicher Überwindung sich die neue von der alten Welt abgrenzt.

Nahaufnahme von den Hollywoodaltstars Edmond O’Brien und William Holden als Westernveteranen.
Randolph Scott als alter Westerner in Buffalo-Bill-Verkleidung an einem Jahrmarktsstand, mit einem Zielscheibenrad.

Oft war es aber auch, ganz unabhängig alten Zeiten, schlichtweg ein bestimmter Schlag von Männern, der im Verschwinden begriffen schien. Als Pat Garrett sich im Schusswechsel mit einem alten Weggefährten befindet, sagt der: „Us old boys ought not to be doing this to each other. Ain’t that many of us left.“ In „Convoy“ verstehen sich die beiden Widersacher, Sheriff Lyle Wallace und der Trucker „Rubber Duck“, auf einer Metaebene: Der eine sagt, sie hätten Unabhängigkeit gemeinsam, der andere ergänzt: „There ain’t many of us left.

Ohnehin bildeten emotionale, teilweise verratene Männerfreundschaften einen anderen der zahlreichen Peckinpah’schen Topoi. In „Ride the High Country“ waren es die gealterten Westerner Steve Judd und Gil Westrum, die viele gemeinsame Erinnerungen teilten und miteinander über eine zu transportierende Goldladung in Streit geraten. Gleich im nächsten Film, „Major Dundee“, ging es um eine zerbrochene Freundschaft zweier Offiziere, die sich einander in Hassliebe begegnen. „The Wild Bunch“ zeigte gleich zwei enge Männerbünde – Pike Bishop und Dutch Engstrom werfen sich ständig Blicke zu, die tiefes gegenseitiges Verständnis verraten; und Bishops einstiger Komplize Deke Thornton zieht am Ende den Revolver aus dem Holster seines toten Kompagnons, um ihn wie eine Reliquie an sich zu nehmen. Das sind Szenen, deren Romantik und Melancholie so manche Hollywood’sche Liebesszene in den Schatten stellen.

Alter Egos

Er ließ Olivia de Havilland seine Mutter spielen und legte Joel McCrea Worte seines Vaters in den Mund – ehe er sich in einer morbiden Parabel in Warren Oates’ abgewracktem Barpianisten Bennie sogar selbst auf der Leinwand manifestierte – Bennies Tötungsexzess im Hauptquartier der Kopfgeldjäger, als er deren Boss erschießt, eine irre Peckinpah-Rachefantasie gegenüber den Chefetagen Hollywoods, von dem er sich just abgewandt gegeben hatte?

Aber auch schon in seinem allerersten Filmprotagonisten Yellowleg (Brian Keith) verbarg sich unter der harschen Maske des von Rache getriebenen Veteranen ein verletzlicher Romantiker. Und entsprach nicht Major Amos Charles Dundees besessener Ritt nach Mexiko mit all seinen Strapazen der Manie eines Peckinpah-Drehs in ebenjenem Mexiko? War Cable Hogues anachronistische Existenz nicht auch Peckinpahs Verlorenheit im 20. Jahrhundert? Und steckte nicht in James Caans unbeugsamem Mike Locken aus „The Killer Elite“, der von seiner Organisation fallengelassen und von einer ihrer Executives verraten wird, nicht ein wenig Peckinpah, in seinem ewigen Kampf gegen Produzenten und Studios?

Mexiko

Als Peckinpah 1964 erstmals in Mexiko drehte, da war er zwar nicht das erste Mal zu Gast im Nachbarland, das im Hollywoodkino meist als Zufluchtsort von Mördern und Dieben verrufen ist. Doch durfte sich seine Liebe für das Land in „Major Dundee“ nun erstmals auch auf der Leinwand manifestieren. Noch mehrere Male kehrte er mit seinen von Krankheiten und der Hitze geplagten Filmcrews dorthin zurück. „In Mexico“, so Peckinpah, „they don’t forget to kiss each other and water the flowers.[18]

Warren Oates und Isela Vega sitzen romantisch an einem Baumstamm; er nachdenklich, sie mit geschlossenen Augen.
Feierlichkeiten in einem mexikanischen Dorf.
Gelassene Stimmung in einem mexikanischen Dorf.

Gewalt

Aber das große Thema, dem sich Peckinpah in seinen Filmen widmete, war das animalische Gewaltpotenzial des Menschen. In jedem Menschen, so lautete seine Generalthese, schlummert eine archaische Gewaltbereitschaft, eine Disposition zum Blutrausch. Das wussten auch andere Regisseure seiner Generation, wie Robert Aldrich oder Sam Fuller. Aber keiner entwickelte dafür eine solch eindrückliche Choreografie wie Peckinpah.

Bei Peckinpah waren alle gewalttätig, alle potenzielle Mörder:innen – Priester, Gottesfürchtige, Kinder. Mit großem kinematografischem Verstand inszenierte Peckinpah immer wieder jene Gefahren- und Bedrohungssituationen, in denen diese primitive, tierische Gewaltveranlagung schließlich hervorbrach. Nirgendwo zeigte er das so drastisch wie an dem Mathematiker David Sumner (Dustin Hoffman), der in Straw Dogs seine Tafelkreide gegen eine doppelläufige Flinte eintauscht und im Überlebenskampf zum Killer wird.

Mexikanische Soldaten sterben im Kugelhagel.
Zwei sowjetische Soldaten in der Agonie des Kugelhagels.

Aber auch schon Royal Earle Thompson (Jason Robards) in dem TV-Einstünder „Noon Wine“ aus dem Jahr 1966 war eine Studie dieser schlafenden Totschlagbereitschaft – ein augenscheinlich friedfertiger Familienvater, der auf seiner Farm einen Kopfgeldjäger erschlägt, als der seinen besten Arbeiter als gemeingefährlichen Verrückten gewaltsam fassen will. „The Wild Bunch“ kulminiert in einem schockierenden Gewaltballett, in dem mexikanische Soldaten im Kugelhagel professioneller Banditen tanzen; in „The Getaway“ liefert sich der Protagonist Doc McCoy einen heftigen Shootout mit Ganoven im Treppenhaus eines schäbigen Hotels; und in „Cross of Iron“ bannte Peckinpah die Kriegsgewalt der Ostfront des Zweiten Weltkrieges in einer fast dokumentarischen Realitätstreue auf die Leinwand. Und selbst „Junior Bonner“, in dem kein einziger Schuss abgefeuert wird, steckt als Drama voll stummer, unsichtbarer Gewalt – der Gefühlsgewalt einer zerfallenen Familie.

Immer wieder lenkte Peckinpah dabei den Blick auf Kinder als Zeugen der Gewalt der Erwachsenen – und damit auf die Reproduktionskraft von Gewalt. Kinder sehen zu, wie sich die Erwachsenen abknallen und prügeln – so wie in „The Wild Bunch“, wo verängstigte Kinder inmitten eines Feuergefechts von Bankräubern und Kopfgeldjägern geraten, oder wie in „Convoy“ einer zünftigen Schlägerei beiwohnen. Peckinpah setzte dabei auf schonungslose Konfrontation, etwa wenn in „Cross of Iron“ Kindersoldaten verstümmelt und zerfetzt werden. In „Pat Garrett & Billy the Kid“ zeigt er spielende Kinder an einer Hinrichtungsstätte – ein kleiner Junge schaukelt im Galgen, an dem bald der festgenommene Gunslinger aufgeknüpft werden soll.

Zwei kleine Kinder, der Kleidung nach Mädchen und Junge, stehen umschlungen und voller Angst im Getümmel einer innerstädtischen Schießerei; um sie herum eilen Leute aus der Schusslinie.

Und Peckinpah zeigte wie kaum ein zweiter Filmemacher die physische Dimension von Gewalt, die Konsequenzen eines Projektileinschlags im Körper eines Menschen oder die Wucht einer Explosion. In Peckinpah-Filmen starben die Gauner nicht bloß en passant, sondern oft unter quälend langen Zeitlupen. An der Kleidung zeichneten sich nicht nur ein paar Blutflecken ab, wie es für Hollywoodverhältnisse schon sehr explizit gewesen wäre. Bei Peckinpah platzten Schulterblätter und Rückenpartien auf, Blutschlieren ergossen sich durch die Luft, Waffen wirkten hier plötzlich nicht mehr wie Spielzeuge, sondern wie Tötungswerkzeuge. Peckinpah erweiterte den Hollywoodwestern um die Austrittswunde – um die unangenehme Wahrheit der Gewalt.

Das ist ihm oft als Verherrlichung und Leinwandspektakel fürs Männerkino ausgelegt worden. „Action“, erwiderte Peckinpah, „does not work without people, without characters. Action for its own sake – I think it’s crap.[19] Manchmal verlor er sich in Vergleichen („What’s bloodier than a romantic grand opera?[20]) oder echauffierte sich („They think I get my rocks off when the people in my pictures get their heads blown off.[21]), dann wieder fand er zu Aussagen von beinahe pädagogischer Strenge: „I don’t put violence on the screen so that people can enjoy it. I want them to understand what it is […].“[22]

Vor allem aber ließ er eine Faszination für organisierte, professionelle Gewaltausübung erkennen. „The Deadly Companions“, „Ride the High Country“, „Major Dundee“, „The Wild Bunch“, „Pat Garrett & Billy the Kid“, „Bring Me the Head of Alfredo Garcia“, „The Killer Elite“ und „Cross of Iron“, auch „The Osterman Weekend“ mit der CIA, sind allesamt Filme, die sowohl von illegalen als auch gesetzlich autorisierten Gewaltspezialisten erzählen, deren Job das Töten als Mittel zum Zweck beinhaltet. Banditen, die es auf Tresore von Banken und Eisenbahngesellschaften abgesehen haben; der Kavalleriezug, der nach Mexiko reitet, um Apachen zu jagen; Kopfgeldjäger, die Leichen fleddern; Agenten undurchsichtiger, im Schatten der Öffentlichkeit operierender Geheimorganisationen; Killer im Staatsdienst. In „The Wild Bunch“ und „Cross of Iron“ erhält das Ganze in den Banden und Platoons – in denen eine tiefe Kameraderie, ein Verständnis herrscht, das keiner Worte bedarf – obendrein noch einen sentimentalen, romantischen Touch.

Kurzum: Im Olymp der Filmschaffenden ist Sam Peckinpah ohne Zweifel jener Regisseur, der in seinen Werken am konsequentesten und ausdrucksstärksten das gewaltsame Naturell des Menschen erkundete – mit einer brachialen Kinematografie, der zugleich eine paradoxe, ungemein sensible Melancholie innewohnt.

Sam-Peckinpah-Retrospektive: All seine Filme.

Anmerkungen

[1] Callenbach, Ernest: A Conversation with Sam Peckinpah (1963), in: Hayes, Kevin J. (Hg.): Sam Peckinpah: Interviews, Jackson 2008, S. 3–15, hier S. 9.

[2] Peckinpah zit. nach Cutts, John: Shoot! Sam Peckinpah Talks to John Cutts, in: Hayes, Kevin J. (Hg.): Sam Peckinpah: Interviews, Jackson 2008, S. 53–61, hier S. 57.

[3] Peckinpah zit. nach Medjuck, Joe: Sam Peckinpah Lets It All Hang Out (1969), in: Hayes, Kevin J. (Hg.): Sam Peckinpah: Interviews, Jackson 2008, S. 19–28, hier S. 28.

[4] Peckinpah zit. nach Farber, Stephen: Peckinpah’s Return (1969), in: Hayes, Kevin J. (Hg.): Sam Peckinpah: Interviews, Jackson 2008, S. 29–45, hier S. 38.

[5] Whitehall, Richard: Talking with Peckinpah (1969), in: Hayes, Kevin J. (Hg.): Sam Peckinpah: Interviews, Jackson 2008, S. 46–52, hier S. 46.

[6] O.V.: Saga der Gewalt, in: Der Spiegel, 20.05.1973.

[7] Eder, Richard: ‚Killer Elite‘ or Copping Out of the Universal Sell-Out, in: The New York Times, 18.12.1975.

[8] Raddatz, Fritz J.: Zeitmosaik, in: Die Zeit, 10.09.1976.

[9] James Coburn zit. nach „Sam Peckinpah: Man of Iron – The Director’s Cut“ von Paul Joyce.

[10] Peckinpah zit. nach Simmons, Garner: Peckinpah: A Portrait in Montage. The Definitive Edition, o. O. 2019 [1998], hier S. 222.

[11] Gordon T. Dawson zit. nach „Sam Peckinpah: Man of Iron – The Director’s Cut“ von Paul Joyce.

[12] Peckinpah zit. nach Yergin, Dan (1971): Peckinpah’s Progress: From Blood and Killing in the Old West to Siege and Rape in Rural Cornwall, in: Hayes, Kevin J. (Hg.): Sam Peckinpah: Interviews, Jackson 2008, S. 82–91, hier S. 84.

[13] Peckinpah zit. nach Murray, William: Playboy Interview: Sam Peckinpah (1972) , in: Hayes, Kevin J. (Hg.): Sam Peckinpah: Interviews, Jackson 2008, S. 96–120, hier S. 105.

[14] Haber zit. nach „Sam Peckinpah: Man of Iron – The Director’s Cut“ von Paul Joyce.

[15] Peckinpah zit. nach Murray 2008 (1972), S. 100.

[16] Pauline Kael: The Wild Man. Remembering Peckinpah, in: The New Yorker, 08.11.1999.

[17] Peckinpah zit. nach Farber 2008 [1969], S. 41.

[18] Peckinpah zit. nach Murray 2008 (1972), S. 118.

[19] Kurz vor seinem Tod 1984, zit. nach „Passion & Poetry. The Ballad of Sam Peckinpah“ (2005) von Mike Siegel.

[20] Peckinpah zit. nach Murray 2008 (1972), S. 103.

[21] Peckinpah zit. nach ebd., S. 99.

[22] Peckinnpah zit. nach Bryson, John: The Wild Bunch in New York (1974), in: Hayes, Kevin J. (Hg.): Sam Peckinpah: Interviews, Jackson 2008, S. 137–144, hier S. 143.

Text verfasst von: Robert Lorenz